Ein weiteres Buch, das mich fasziniert hat, ohne das Orks oder Zwerge darin vorkommen, ist der Roman Rabenzauber von Patricia Briggs. Genaugenommen sind es zwei Bücher, denn in der deutschen Ausgabe, die fast 1000 Seiten umfasst, sind die beiden Romane „Raven’s Shadow“ und „Raven’s Strike“ gemeinsam enthalten. Deswegen gibt es auch in der Mitte des Buches eine Art vorläufiges Happy End.
Vor vielen Jahrhunderten lebten in der Stadt Colossae mächtige Zauberer. Sie wurden größenwahnsinnig und setzten eine zerstörerische Macht frei, die sie nicht mehr beherrschen konnten. Um diese Macht von der Zerstörung der Welt abzuhalten, sahen sie sich gezwungen ihre Stadt samt allen Bewohnern, die kein Zauberer waren, einschließlich ihrer eigenen Angehörigen zu opfern.
Ein unvollständiges Opfer
Da die Zauberer von Colossae nicht von ihren Bibliotheken lassen wollten, schufen sie Gegenstände, die an jedem Ort Illusionen ihrer Häuser und Bibliotheken erzeugen konnten und nahmen auch die große Bibliothek der Stadt von dem Bann aus, denn sie über den Rest warfen. Dadurch war das Opfer aber nicht komplett und es leckt immer wieder Böses durch den Schleier, denn die Opferung der Stadt Colossae erzeugt hat und der diese Böse eigentlich vollständig hätte fernhalten sollen.
Die Nachfahren der Zauberer von Colossae sind daher gezwungen, ruhelos durch die Welt zu ziehen und die Folgen der Taten ihrer Vorväter zu bekämpfen. Sie nennen sich selbst Reisende und einige von ihnen haben besondere magische Begabungen, die als Weisungen bezeichnet werden. Es gibt sechs verschiedene solche Weisungen, die den Göttern von Colossae zugeordnet sind und durch verschiedene Vögel symbolisiert werden, die auch die Wahrzeichen dieser Götter wahren.
Die Reisenden sind – ähnlich wie die Zigeuner in unserer Welt – bei den sesshaften Leuten nicht sehr beliebt, denn diese wissen nicht, dass die vermeintlich bösen Hexer für ihren Schutz verantwortlich sind. Daher werden die Reisenden-Clans verfolgt und viele von ihnen sind bereits ausgelöscht.
Letzte Überlebende eines solchen Clans ist das junge Mädchen Seraph, welche die Weisung des Raben hat. Ihr ganzer Clan bis auf sie und ihren Bruder ist von einer Seuche dahingerafft worden. Dann wird auch der noch von aufgebrachten Dorfbewohnern gelyncht. Seraph kann die Gasthausrechnung nicht bezahlen und ist in großer Gefahr, ebenfalls gelyncht oder in die Leibeigenschaft verkauft zu werden.
Ein böser König
Die Macht des Bösen, dass durch den unvollständigen Schleier dringt, kann von verderbten Menschen genutzt werden. In vergangenen Zeiten erlag ein bis dahin guter und gerechter König ihrer Verlockung und wurde zu einem von den Menschen als „Der Schatten“ bezeichnetem Ungetüm, das mit seinem verderbten Heer um ein Haar die Welt vernichtet hätte. Dem letzten Aufgebot der Menschen gelingt es jedoch mit knapper Not, dies zu verhindern und den Schatten zu vernichten. Dabei stirbt auch ihr Anführer, der Rote Ernave, der somit sein Leben für die Welt gibt. Der Ort der Entscheidungsschlacht wird fortan als Schattenfall bezeichnet und ist verfluchtes Land, das niemand besiedelt oder auch nur aufsucht. Doch das Problem ist nicht endgültig gelöst, denn jederzeit kann wieder ein Mensch der Verlockung des Bösen erliegen und zu einem neuen Schatten werden…
Ein Krieger mit besonderen Talenten
In einiger Entfernung von Schattenfall lassen sich Überlebende der Entscheidungschlacht nieder und gründen den Ort Redern. Von dort stammt Tieragan, der, obwohl er kein Reisender, sondern der Erbe der Bäckerei von Redern ist, die Weisung der Eule besitzt. Davon weiß er aber nichts. Er findet im Laufe seiner Jugend lediglich heraus, dass er gut im Musizieren, Singen sowie Geschichten erzählen ist und gut mit Menschen umgehen kann. Das sind die Talente des Barden, den die Eule symbolisiert.
Als Bub läuft Tieragan von zuhause fort zu den Soldaten. Seine Begabung zum Führen von Menschen fällt dem Sept, dem Landesfürsten auf, in dessen Diensten der junge Krieger steht. Der Sept wird zu Tieragans väterlichen Freund, bildet ihn aus und fördert ihn, so dass sich der einfache Bäckerbub zum Offizier hinaufarbeiten kann. Als wieder einmal Frieden ist, nimmt Tieragan, mittlerweile ein junger Mann Mitte zwanzig, seinen Abschied und kehrt nachhause zurück.
Auf dem Heimweg, kommt er in das Dorf und das Gasthaus, in dem Seraph gerade in Schwierigkeiten ist. Er kauft sie, um sie zu retten und schnappt sie dabei einem anderen Interessenten vor der Nase weg. Dieser verfolgt Tieragan und Seraph und wird von dem jungen Krieger getötet. Der misst dem Vorfall keine weitere Bedeutung bei, denn er weiß nicht, dass finstere Mächte Interesse an der jungen Zauberin und auch an ihm haben.
Tieragan will Seraph zu einem Reisenden-Clan begleiten, um sie in Sicherheit zu bringen. Zunächst muss er aber zuhause bleiben. Sein Vater ist mittlerweile gestorben und der Mann seiner Schwester, ein Jugendfreund von Tieragan, führt die Bäckerei. Die Mutter liebt im Sterben und so lange sie noch lebt, will Tieragan nicht wieder fort.
Da es aber Reibereien zwischen Seraph und Tieragans Schwester gibt, überlässt er, der sowieso nie Bäcker werden wollte, Schwester und Schwager die Bäckerei. Er heiratet Seraph und erbittet sich vom örtlichen Sept ein Stück Land, das sonst niemand haben möchte. Dort lässt er sich mit der Rabenzauberin nieder und baut sich einen Bauernhof auf.
Von der Vergangenheit eingeholt
Zwanzig Jahr später haben die beiden mit dem Hof ein etwas karges, aber hinreichendes Auskommen und drei Kinder. Jedes der Kinder besitzt eine Weisung, so dass in der Familie fünf verschiedene Weisungen vorhanden sind. Wäre nicht ein viertes Kind sehr jung gestorben, wären soagr alles sechs Weisungen in einer Familie vorhanden. Das ist mehr als ungewöhnlich, denn lange nicht alle Reisenden besitzen eine Weisung. Normalerweise kommt in einer Familie nur ab und zu einmal eine Person mit einer Weisung vor.
Eines Frühjahrs kommt Tieragan von der winterlichen Fallenjagd nicht nach Hause. Als er schon Wochen überfällig ist, erhält Seraph Kunde, dass Tieragan auf dem Heimweg offenbar überfallen und getötet worden sind. Ein Jäger hat die Reste seines Pferdes und menschliche Überreste gefunden, die er begraben hat. Während Seraph trauert, taucht Hennea auf, eine weitere Rabenzauberin. Sie bringt Informationen, die nahelegen, dass Tieragans Tod nur vorgetäuscht wurde. Seraph und ihre Söhne gehen der Sache nach und stellen fest, dass die am Tatort begrabenen Überreste nicht die ihres Mannes sind. Offenbar wurde er entführt und sein Tod nur vorgetäuscht.
Hennea, die offenbar mehr ist, als sie zu sein scheint, weiß auch, was hinter der Sache steckt: Ein neuer Schatten hat sich erhoben und stiehlt die Weisungen von Reisenden, indem er sie ein Jahr und einen Tag gefangen hält und dann opfert. Er hat dazu einen Orden gegründet, dessen Schergen er aus den Reihen der gelangweilten jungen, nicht erbberechtigten Adeligen des Kaiserreichs rekrutiert. Das Hauptquartier des Ordens befindet sich in einem unbenutzten, lange vergessenen Teil des riesigen Kaiserpalastes in der Hauptstadt. Dorthin wurde auch Tieragan verschleppt.
Mit Hilfe korrupter Hofschranzen hat der Schatten bereits den Kaiserhof in der Hand. Er hat den Kaiser ermorden lassen und später dann auch seinen Bruder, der die Amtsgeschäfte des jungen Kaisers Phoran versehen sollte, bis dieser selbst alt genug war. Den jungen Kaiser selbst hat der Schatten durch falsche Freunde zu einem Säufer und Hurenbock werden lassen, der sich nicht um seine Amtsgeschäfte kümmert. Das Reich wird von Höflingen reagiert, die Kreaturen des Schattens sind.
Doch der Schatten hat Tieragan und seine Familie unterschätzt. Während Seraph und ihre Söhne in die Hauptstadt reisen um den Vater zu befreien, lernt dieser den jungen Kaiser kennen. Unter dem Einfluss von Tieragan besinnt sich dieser auf seine pflichten, kehrt dem Laster den Rücken und beginnt, den korrupten Höflingen die Stirn zu bieten. Ein Kampf beginnt, der mit Tieragans Befreiung noch lange nicht zu Ende ist: Zusammen mit dem jungen Kaiser und einigen der jungen Ordensmitgliedern, die Tieragan mit seinem Einfluss auf den rechten Weg bringen konnte, muss die Familie jetzt losziehen um den Schatten zu bekämpfen und sich ihm in der verwunschenen Stadt Colossae zum entscheidenden Kampf zu stellen.
Gern gelesen
Rabenzauber ist ein packendes Buch, dass ich unbedingt empfehlen kann. Das besondere daran ist, dass die Hauptpersonen nicht wie üblich Abenteurer sind, die das Schiksal zusammenführt, sondern ein Familie, die im Grund nur in Ruhe auf ihrem Bauernhof leben will.
Patricia Briggs stellt sehr schön die Beziehungen innerhalb der Familie dar, die zusammenhält wie Pech und Schwefel. Selbst das zehnjährige Nesthäkchen Rinnie, mit der Weisung des Kormorans versehen und in der Lage das Wetter zu beeinflussen, trägt ihren Teil zum Kampf bei. Der junge Kaiser Phoran und seine Kampfgefährten werden von Seraph in die Familie einbezogen genauso wie Hennea, die sich in Serpahs Sohn Jes verliebt – und er sich in sie. Doch auch diese Liebe ist nicht unproblematisch: Hennea ist mehr als nur eine einfache Reisende mit der Weisung des Raben und Jes ein Hüter: Er hat die Weisung des Adlers und damit eine Art Dämon als zweite Persönlichkeit in sich, der den ansonsten eher einschichtigen Jungen in eine Kampfmaschine verwandeln kann, die nicht nur für Feinde gefährlich ist. Doch Seraphs und Tieragans Liebe erstreckt sich auf beide Ichs ihres Sohnes.
„Rabenzauber“ ist nicht nur ein wunderschönes Epos, dass dem Genre des High Fantasy zugeordnet werden kann, denn es geht ja um nichts Geringeres als die Rettung der Welt vor dem Schatten, auch wenn diese mit dem Schutz des Familienglücks der Helden verknüpft ist. Es ist gleichzeitig eine anrührende Geschichte von Liebe, Treue, Ehre und Pflicht. Die Art, wie Patricia Briggs sie in Rabenzauber erzählt, wird männlichen wie weiblichen Fantasy-Freunden gleichermaßen gefallen. Ein unbedingt empfehlenswertes Buch.
Patricis Briggs
Rabenzauber
Heyne Verlag März 2008
ISBN-10: 3453523156
ISBN-13: 978-3453523159
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